Ist Logistik 4.0 die logische Konsequenz aus Industrie 4.0?
Die Meinungen zum Digitalisierungs-Reifegrad von Logistikunternehmen gehen teilweise weit auseinander. Allerdings überwiegt die Einstellung, dass in dieser Branche oftmals nicht weit genug über den eigenen Tellerrand geschaut wird.
Es werden beispielsweise zu wenige Echtzeitdaten erhoben, es fehlt an Schnittstellen zwischen Systemen und an klar definierten digitalen Geschäftsabläufen. Wenn dies doch geschieht, dann höchstens innerhalb der Unternehmen.
Die Fragen, die sich daraus ergeben, sind folgende:
- Wie können Logistikunternehmen in Zukunft besser miteinander kooperieren?
- Wie sieht es mit dem Vertrauen und der Sicherheit hinsichtlich der Digitalisierung aus?
- Wo stehen die mittelständischen Logistikexperten in Sachen Digitalisierung wirklich?
Diese und weitere Fragen wurden von Logistikexperten in der Mittelstandslounge auf der CeBIT 2015 in Hannover in einer Diskussionsrunde beantwortet, die als Hangout aufgezeichnet wurde.
Teilnehmer waren: Prof. Volker Stich, Geschäftsführer, FIR e.V. an der RWTH Aachen; Jan Westerbarkey, CEO, Westaflexwerk GmbH; Kay Lied, BVMW Kooperationsmanager und Wolfgang Liedziella, Geschäftsführer
VDE Prüf- und Zertifizierungsinstitut GmbH. Die Moderation hatte Diplom-Betriebswirtin Ulla Coester, Gesellschafterin der Xethix GbR.
Die Parole lautet: Sich gegenseitig weiterbringen
Zu Beginn wurde erst einmal klar gestellt, dass es um die Digitalisierung der Logistikbranche nicht so schlecht steht, wie es vielleicht nach außen hin scheint. Zahlreiche Unternehmen liefern schon jetzt gute Best Practices im Bereich Just-in-time.
Allerdings, und da waren sich alle Gesprächsteilnehmer einig, „bremst“ vor allem die große Skepsis gegenüber der Datenschutz- und Sicherheitsproblematik.
Insbesondere scheinen gerade die Logistikspezialisten ihre vorhandenen Digitalisierungs-Technologien eher für sich selbst, also innerhalb ihrer Werkstore, zu behalten, als sich zu vernetzen und gegenseitig voneinander zu profitieren.
Kein Unternehmen 4.0 ohne Logistik 4.0
Im Zuge von Logistik 4.0 ergeben sich viele neue Chancen für die Unternehmen, sich neu zu erfinden. Dabei lässt sich derzeit erkennen, dass hier kleine Unternehmen innovativer agieren als die Konzerne. Aber ganz gleich, ob klein oder groß: Die besten Ergebnisse lassen sich nur vernetzt erreichen.
Ein Negativbeispiel: Der Industriepark Höchst hat alle seine Prozesse in einer IT-Landschaft abgebildet. Auch die Lieferanten müssen alle Daten in das hauseigene System eingeben, was für Spediteure doppelte Datenerfassung bedeutet.
So kann es für einen Spediteur tatsächlich Alltag sein, wenn er mit unterschiedlichen Unternehmen zusammenarbeitet, dass er mehrere Systeme bedienen muss, was einfach nicht praktikabel ist.
Logistikbranche sechs – Nachsitzen!
Fehlende Schnittstellen oder Standards sind dann innerhalb der Branche auch die Hauptargumente für das sehr vorsichtige Einsteigen in die Digitalisierung von Geschäftsabläufen.
Hier allerdings widersprachen die Fachleute vehement: Der mittelständische Logistiker würde an dieser Stelle einfach seine Hausaufgaben nicht machen. Mittlerweile seien zahlreiche frei verfügbare Standards entwickelt worden, sowohl auf weltweiter als auch europäischer Ebene.
Spannend: In anderen Branchen haben sich schon viel früher Cluster kooperierender Unternehmen gebildet als in der Logistik – auch ein Tipp der Experten, dieses Thema verstärkt anzugehen.
Komplexität vereinfachen
Allerdings: Es gibt sehr viele Prozesse in der Logistik, die digitalisiert werden müssen: von der Eingangs- und Ausgangslogistik über die interne Logistik bis zu Lademittelmanagement und Etikettierung. Dabei nimmt die Prozesskomplexität täglich zu.
Hinzu kommt, dass viele Hersteller keinen eigenen Fuhrpark mehr haben. In diesem Zusammenhang gilt es, die gemeinsamen Schnittstellen von Spediteuren und Herstellern zu finden, um die Digitalisierung dieser Prozesse zu beschleunigen.
Smart Factories, Smart Products und Smart Services
Insbesondere Smart Products eröffnen der Logistikbranche völlig neue Businessmodelle. Dadurch, dass die einzelnen Produkte über RFID oder andere Technologien miteinander kommunizieren können, sind neue Geschäftsmodelle möglich.
Gutes Beispiel für einen Smart Service: Ein großer weltweit agierender Logistiker hat sein Businessmodell weitergedacht. Ursprünglich transportierte er Ersatzteilgeräte für Unternehmen, wie zum Beispiel Siemens. Mittlerweile bietet er nicht nur das Anliefern der Bauteile an, sondern baut sie selbst ein und schult auch das Personal beim Kunden, das die Geräte nutzt. Ein anderer Spediteur hat sich wiederum auf die Ersatzteillieferung innerhalb von drei Stunden spezialisiert.
Ausreden gelten nicht
Strategische Neuausrichtungen sind mit Investition verbunden: mit Zeit und mit Geld. Oftmals fehlt es laut Aussage der Unternehmen an beidem. Die Experten ließen dieses Argument nicht gelten und empfahlen den Logistikprofis die Digitalisierung anzupacken und als Chance zu verstehen.
Wichtig ist das Schauen über den Tellerrand hinweg. Sich vom Wettbewerb inspirieren lassen ist erlaubt. Möglicherweise können auch externe Experten den Transformationsprozess unterstützen. Nichts allerdings führt daran vorbei, sich überhaupt mit der Digitalisierung zu beschäftigen.
Erst auf dem Trockenen üben
Damit Digitalisierung auch für die mittelständischen Logistiker greifbarer wird, werden am Campus Cluster Smart Logistik am FIR an der THU Aachen Digitalisierungs-Lösungen getestet und demonstriert.
Zielsetzung des Clusters Smart Logistik ist es, komplexe Zusammenhänge in der Logistik, der Produktion und den Dienstleistungen erleb- und erforschbar zu machen.
Die Kooperation erfolgt durch die Bereitstellung von Arbeitsflächen und Forschungsinfrastruktur sowie durch die Ansiedlung von Partnern aus verschiedenen Stufen der logistischen Wertschöpfungskette, die gemeinsam in Projekten arbeiten, zukünftige Herausforderungen identifizieren und Lösungen erarbeiten. Hier ein Video zum Cluster Smart Logistik.
Vor allem geht es darum, zu zeigen, wo das Potenzial ist und Innovationen immer weiter zu entwickeln. Vor allem soll demonstriert werden, wie mithilfe von Digitalisierung konkret ein Mehrwert geschaffen wird. Zudem können Risiken im Vorfeld erkannt und beseitigt werden.
Vernetzung ist alles
Wie sollen nun Logistikunternehmen das „Projekt“ Digitalisierung angehen? Geholfen wäre ihnen nach Meinung der Experten schon, wenn sie nur zehn Prozent ihrer Zeit in mögliche Kooperationen und die Information stecken würden. Besonders empfehlenswert ist es, mit einem kleineren Projekt zu beginnen, optimalerweise auch in Zusammenarbeit mit einer Forschungseinrichtung.
Alle Puzzleteile – Standards, Normierungen und Schnittstellen – zur Digitalisierung sind da. Nun gilt es, sie sinnvoll zusammensetzen. Ohne Vernetzung der einzelnen Unternehmen aber geht nichts, schon gar nicht in der Logistikbranche mit ihren zahlreichen und komplexen Prozessen.
Prof. Volker Stich, Geschäftsführer, FIR e.V. an der RWTH Aachen
„Es wird nicht alles neu erfunden, aber es werden neue Businessmodelle und Businessopportunities konfiguriert.“
Jan Westerbarkey, CEO, Westaflexwerk GmbH
„Die Technologie ist da, darum muss man sich keine Gedanken machen. Die Frage ist eher: Warum hört man an den Werkstoren auf und bindet nicht die vor- und nachgelagerten Prozesse ein?“
Kay Lied, Kooperationsmanager, Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW)
„Für die Spediteure ist es wichtig, über den eigenen Tellerrand zu schauen. Jedes Unternehmen sollte sich einen Teil der Zeit auch mit neuen Ideen und Technologien beschäftigen.“
Wolfgang Liedziella, Geschäftsführer VDE Prüf- und Zertifizierungsinstitut GmbH
„Wir stehen nicht am Anfang der Logistik 4.0. Das zeigen auch Konzerne im Bereich Realtime-Logistik, aber wir haben einen Nachholbedarf im Mittelstand.“